Donnerstag, 23. Januar 2014

DOSB-Generalsekretär Vesper

"Der Sport kann nicht mehr als die Politik"

Der höchste deutsche Sportfunktionär ist ein Grüner. Vor Sotschi spricht er vom "Wandel durch Annäherung" – für Homosexuelle in Russland, glaubt er, könne er nichts tun. 
von Mariam Lau

Michael Vesper bringt sein Selbstbild auf eine kernige Kurzformel. "Ich bin ein Hingeher", sagt der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), lehnt sich im Sessel zurück und beobachtet, wie das Wort seine Wirkung entfaltet. Wenn in drei Wochen die Olympischen Winterspiele in Sotschi beginnen, wird der britische Premier David Cameron wegbleiben. Barack Obama wird wegbleiben und François Hollande auch. Bundespräsident Joachim Gauck wird wegbleiben. Aber der höchste Funktionär des deutschen Sports ist ein Hingeher. "Der Erfolg Olympischer Spiele", sagt Michael Vesper (61) mit feinem Spott, "lässt sich nicht an der Zahl der erschienenen Politiker messen." Der Mann, der einmal die Grünen mitgegründet hat, der als Student militante afrikanische Befreiungsorganisationen unterstützte und als Katholik glühender Anhänger der lateinamerikanischen Befreiungstheologie war – er wird hingehen nach Sotschi, selbstverständlich. So wie er es sagt, das mit den "Hingehern" und denen, die nicht erscheinen, klingt es, als seien die einen die Kerle und die anderen die Memmen. Er, Vesper, wird sich der Lage stellen; die Politiker halten sich fein heraus.

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Kommentar Andy

Da macht es sich Herr Vesper aber hübsch einfach. Menschenrechtsverletzungen sind ausschließlich ein Thema für die Politiker. Der Sport braucht gefälligst volle Handlungsfreiheit ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, ob es sich beim Gastgeberland um eine Diktatur handelt oder in welchen Maße Menschen diskriminiert und gedehmütigt werden. Ach ja, die Welt kann ja so schön und vor allen einfach sein - wenn man Michael Vesper ist. Aber auch nur dann. Für viele andere Menschen stellt sich schon lange die Frage, was denn das IOC eigentlich geritten hat, die Olympischen Spiele ausgerechnet an Russland zu vergeben. 


Im Zuge des Boykottaufrufes der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, sagte einst Heinrich Mann auf der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee am 6. und 7. Juni 1936 in Paris: 
„Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung; ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitlichen Sportler respektieren? Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt.“
Ist es in Sotschi eigentlich so viel anders? Nach Äußerungen internationaler Menschenrechtsorganisationen kommt es immer wieder zu willkürlichen Inhaftierungen, systematischer Folter von Inhaftierten durch die Polizei, Gefährdung der Pressefreiheit, Diskriminierung, Rassismus und Morde an Mitgliedern von ethnischen Minderheiten. Laut Amnesty International werden jedes Jahr Hunderte von Menschen Opfer von Folter und Misshandlungen. Auch in der russischen Armee ist Folter und Erniedrigung weit verbreitet und nicht wenige junge Männer werden jedes Jahr getötet oder begehen deswegen Selbstmord. In zahlreichen Fällen wird von Menschen berichtet, die russischen Autoritäten unbequem wurden  und deshalb in psychiatrischen Institutionen inhaftiert wurden. Im Jahr 2006 wurde die Anzahl der Waisenkinder in Russland auf sage und schreibe 2 Millionen und die der Straßenkinder auf 4 Mio. geschätzt. Selbst Waisenhäuser oder anderen psychiatrische Institutionen sind in einen katastrophalen Zustand. Manche Kinder und Jugendliche werden einfach halb-nackt in ihrem eigenen Dreck liegen gelassen. Bettlägerige Kinder von fünf bis siebzehn werden in unterbesetzten Liegeräumen eingesperrt und manchmal bis zum Tod vernachlässigt.“  

Klingt das vielleicht nach einen freien und demokratischen Rechtsstaat, in dem die Welt sich im friedlichen Sportwettkampf messen kann? Ich sage, wer davor die Augen veschließt macht sich eindeutig mitschuldig.
 


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